27.02.2015

Es fehlt ein Regulierungskonzept


Gastbeitrag von Martin Reeckmann in: Euractiv YellowPaper "Glücksspiel und Verbraucherschutz", Februar 2015, S. 27

Beim Blick auf die Glücksspielregulierung in Europa und in Deutschland fällt auf: national und regional sind verschiedene Modelle zur Glücksspielregulierung in Kraft gesetzt worden. Auf dem Papier in Kraft gesetzt, aber faktisch kaum durchgesetzt. Ein besonders frappierendes Beispiel für das Versagen von Glücksspielregulierung bietet seit einigen Jahren der größte EU-Mitgliedstaat Deutschland. Deutschland hat in acht Jahren drei (!) Staatsverträge produziert, von denen die ersten beiden der höchstrichterlichen Prüfung nicht standgehalten haben.

Aktuell deutet einiges darauf hin, dass sich die deutschen Bundesländer auch mit dem jüngsten Glücksspielstaatsvertrag übernommen haben. Das zeigt zum Beispiel ein Blick auf die drei Bereiche, für die zentrale Zuständigkeiten geschaffen worden sind, nämlich die Vergabe von Sportwettenkonzessionen, die Errichtung einer zentralen Sperrdatei und das Unterbrechen der Zahlungswege bei nicht erlaubten Glücksspielen im Internet. Alle drei Aufgabenfelder sind entweder aus dem Zeitplan gelaufen oder haben noch keine belastbaren Ergebnisse vorzuweisen. Auch das Verbot von Casinospielen im Internet hat mit der Realität nichts zu tun. Angesichts des Ausmaßes und des mehrjährigen Wachstums des Schwarzmarkts für Glücksspiele muss von einem strukturellen Vollzugsdefizit des Glücksspielrechts in Deutschland gesprochen werden. Ursache dafür sind Fehlentscheidungen bei der Normierung des Glücksspielrechts und bei der Organisation und Durchführung des Verwaltungsvollzugs. Insgesamt steht die Legitimation der bestehenden Normierung des Glücksspiels ernsthaft in Frage.

In Deutschland soll eine Vielzahl zersplitterter Behörden mit unzureichender Personal- und Sachausstattung eine kaum überschaubare und in ständiger Veränderung begriffene Palette von Glücksspielangeboten beaufsichtigen oder unterbinden. Die Aufsicht gelingt nur noch bei den standortgebundenen Glücksspielangeboten wie den Spielbanken mit ihrer traditionell höchsten Aufsichtsdichte. Auf die wenigen Spielbanken haben die Aufsichtsbehörden jederzeit Zugriff. Bei anderen Marktbereichen geschieht wenig, weniger, am wenigsten – bis hin zur faktischen Duldung des Rechtsbruchs wie etwa bei den grenzüberschreitenden Onlineglücksspielen, die in Deutschland weitgehend verboten sind.

Was nützt ein Verbot, dass nur auf dem Papier steht? Es nutzt den Anbietern unerlaubter Glücksspiele, die mit leichter Hand und geringem Aufwand schnell zu Geld kommen. Den Verbrauchern, deren Informations- oder Schutzbedarf im Fokus stehen müsste und die stattdessen förmlich im Stich gelassen werden, nutzt es gar nicht. Dem Fiskus bekanntlich auch nicht.
Ein weiteres Beispiel für die Fehlregulierung in Deutschland ist das Schutzinstrument der Spielersperre. Die 16 deutschen Bundesländer haben insgesamt sechs verschiedene Sperrsysteme beschlossen, davon fünf für den Marktbereich der Spielhallen. Die bundesweite Spielersperre wirkt auf die schutzsuchenden Spieler als lebenslanges Verbot der Teilnahme an Glücksspielen, abgestufte individuelle Vereinbarungen über den Umfang der Spielteilnahme sind kaum möglich. Umgekehrt wollen manche Spieler sich für alle Glücksspiele sperren lassen; hier fehlt es aber an einem übergreifenden Sperrsystem, das alle Glücksspiele umfasst und auch über Deutschland hinaus wirkt. Sichtbar wird hier vor allem das Fehlen eines Verbraucherschutzkonzepts.

Wenn Gesetzgebung und Praxis so weit auseinanderklaffen wie derzeit in Deutschland und anderen Teilen Europas, müssen wir uns wieder über den Sinn von Glücksspielregulierung verständigen. Ziel der gesellschaftspolitischen Verständigung muss die Vereinbarung eines Regulierungskonzepts sein, aus dem der rechtliche Rahmen für Glücksspielangebote abgeleitet werden kann. Ein solches Konzept fehlt in Deutschland und in der EU. Das ist – neben dem schlecht organisierten Vollzug – die zweite Ursache des Problems.

Auf dem Weg zu der notwendigen (die Not wendenden) gesellschaftspolitischen Verständigung muss ideologischer Ballast über Bord geworfen werden.

  1. Es gibt keinen Grund, Glücksspiele, Glücksspielanbieter und nicht zuletzt die Spieler zu stigmatisieren. Glücksspiel ist in unseren Gesellschaften in Europa nicht unerwünscht, sondern realer und normaler Bestandteil des Lebens. Alleine in Deutschland besteht eine massenhafte Nachfrage der Verbraucher etwa bei den staatlichen Lotterien (903 Mio. Spielaufträge im Jahr 2013) und bei den Spielbanken (5,8 Mio. Besuche in 2013). Die knappe Hälfte der Bevölkerung nimmt mindestens einmal jährlich am Glücksspiel teil – ohne jemals auch nur in die Nähe problematischen oder pathologischen Spielverhaltens zu geraten.
  2. Glücksspiel macht nicht süchtig, genauso wenig wie jede andere Tätigkeit, die frei von toxischen Wirkungen ist. Aber Glücksspiel kann – wie Arbeit, Kaufen, Sport, Sex etc. – zur Sucht werden, wenn ein Glücksspielangebot von einer entsprechend disponierten Person zur Kompensation von krisenhaft erlebten Lebenslagen genutzt wird.
  3. Bei jedem Glücksspielanbieter muss Prävention Chefsache sein – und nicht in die PR- Abteilung abgeschoben werden. Spielerschutz und Jugendschutz sind conditio sine qua non.

Regulierung besteht nicht nur aus Paragraphen, sondern auch und vor allem aus der faktischen Umsetzung der vereinbarten Regeln.

Die Umsetzung obliegt den Glücksspielanbietern, die manipulationsfreie und nachfragegerechte Glücksspiele bereitstellen müssen, wirksam verzahnt mit Maßnahmen zur Prävention vor Glücksspielsucht. Universelle Prävention für die deutliche Mehrheit der unproblematischen (sozialen) Spieler, selektive Prävention für den kleinen Anteil problematischer Spieler und indizierte Prävention für die wenigen pathologischen Spieler, deren Sucht allerdings erhebliche Folgen haben kann. Daraus ergeben sich wachsende Anforderungen an die Glücksspielanbieter, die ihrer Verantwortung nicht ohne eine planbare Umsatzbasis gerecht werden können.

Die Umsetzung obliegt aber auch den Behörden, die die zugelassenen Glücksspielanbieter beaufsichtigen und ihnen den Rücken von illegalen Wettbewerbern freihalten müssen. Ein von Kooperation statt Misstrauen geprägtes Verhältnis zwischen Glücksspielanbietern und Aufsicht entlastet letztere, während unerlaubten Glücksspielen mit unmissverständlicher staatlicher Repression begegnet werden muss.

In etwa zehn Jahren werden die Digital Natives in Europa den Ton angeben, und dann wird sich der Fokus der Regulierung vom standortgebundenen Glücksspiel zum Glücksspiel im Internet verlagern. Dafür werden sich Deutschland und die EU rüsten müssen, wenn die nationalen und EU-Organe nicht weiterhin Zaungast sein und die Verbraucher im Stich lassen wollen, wie das derzeit etwa bei den im Internet-Glücksspiel dominierenden Sportwetten und Casinospielen der Fall ist.

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