05.05.2015

Illegales Glücksspiel – Forschungs- und Handlungsbedarf


RA Martin Reeckmann hat in einem Fachaufsatz den Forschungs- und Handlungsbedarf beim illegalen Glücksspiel untersucht. Behandelt werden der Begriff des illegalen Glücksspiels, die Abgrenzung zu anderen Fallgruppen, Ausmaß und Charakter des illegalen Glücksspiels und die Bekämpfung des illegalen Glücksspiels. Der Aufsatz ist in Heft 2.15 der Zeitschrift für Wett- und Glücks­spielrecht (ZfWG) erschienen und steht hier zum Download bereit.

Einleitung des Aufsatzes:

Das illegale Glücksspiel soll – auch, aber nicht nur – aus Gründen des Verbraucherschutzes bekämpft und die dortige Spielnachfrage hin zu legalen und beaufsichtigten Glücksspielen kanalisiert werden. Die Kanalisierung ist gemäß § 1 S. 1 Nr. 2 GlüStV ein erklärtes Regulierungsziel und als solches überwiegend akzeptiert. Strittig ist allerdings unverändert der beste Weg der Kanalisierung. In der Diskussion hierzu fällt auf, dass eine Begriffsbestimmung und klare Angaben zu Art und Ausmaß des illegalen Glücksspiels bislang fehlen. Der vorliegende Aufsatz gibt Hinweise zur Annäherung an eine evidenzbasierte Erfassung des Phänomens "illegales Glücksspiel".

Fazit des Aufsatzes:

  1. Aus rechtlicher Sicht kann der Begriff des illegalen Glücksspiel als ausreichend geklärt angesehen werden; das illegale Glücksspiel entspricht dem unerlaubten Glücksspiel, für das keine Erlaubnis der zuständigen Behörde vorgelegt werden kann.
  2. Auch der Begriff des Graumarkts kann als ausreichend geklärt angesehen werden. Hierzu hat die EU-Kommission Fallgestaltungen berücksichtigt, bei denen der Glücksspielanbieter mit Sitz im Ausland zwar dort, aber nicht im Zielland seiner Angebotstätigkeit über eine entsprechende Erlaubnis verfügt.
  3. Die unter 2. angesprochenen Fallgruppen dürften einen großen Teil der in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) ausgewiesenen Verfahren wegen Verstoßes gegen die §§ 284, 285 und 287 StGB ausmachen.
  4. Die unter 2. angesprochenen Fallgruppen sind jedenfalls dann nicht als illegales Glücksspiel anzusehen, wenn die nationale Rechtslage eine Erlaubniserteilung in unionsrechtswidriger Weise ausschließt.
  5. Der Umfang des illegalen Glücksspiels ist bislang nicht ausreichend erforscht. Es fehlen nachvollziehbare und belastbare Daten zum Ausmaß des schwarzen Internet-Casinomarkts. Die Untersuchungsergebnisse unabhängiger Einrichtungen sind zu veröffentlichen.
  6. Es sind derzeit keine Arbeiten verfügbar, in denen die Korrelation zwischen Umfang des unerlaubten Glücksspiels (Produkte, Vertrieb, Umsätze) und Kanalisierungseffekt belastbar dargelegt wird. Umgekehrt ist auch ein Zusammenhang von erlaubten Glücksspielen und Kanalisierung bislang nicht ausreichend untersucht worden. 
  7. Angesichts des Ausmaßes und des mehrjährigen Wachstums des Schwarzmarkts für Glücksspiele muss von einem gravierenden Vollzugsdefizit des Glücksspielrechts gesprochen werden. Ursächlich sind Fehlentscheidungen bei der Normierung des Glücksspielrechts und bei der Organisation und Durchführung des Verwaltungsvollzugs. Insgesamt steht die Legitimation der bestehenden Normierung des Glücksspiels ernsthaft in Frage, da sich der GlüStV in legitimationsrelevanten Teilen als wirkungslos erweist.



27.02.2015

Glücksspiel und Verbraucherschutz


Glücksspielregulierung bundesweit gescheitert – Paradigmenwechsel unumgänglich – Verbraucherschutz als Grundlage eines neuen Regulierungskonzepts

Die europäische Medienplattform EurActiv hat in ihrer Publikationsreihe YellowPaper einen Sammelband zum Thema Glücksspiel und Verbraucherschutz herausgegeben. In dem jeweils in deutscher und englischer Sprache erschienenen Dossier, das in Kooperation mit dem Bundesverband privater Spielbanken (BupriS) und der Schmidt-Gruppe, einem Unternehmen der Unterhaltungsautomatenwirtschaft, entstand, kommen 17 namhafte Autoren über die Situation des Glücksspiels und der Glücksspielregulierung in Deutschland zu Wort. "Inhaltlich geht es", so Martin Reeckmann, BupriS-Vorsitzender, "um die Ablösung der bisherigen Glücksspielregulierung durch ein praxistaugliches, auf Verbraucherschutz beruhendes Konzept. Drei Glücksspielstaatsverträge in den vergangenen acht Jahren belegen eindrucksvoll, dass ein Paradigmenwechsel nötig ist, der die Glücksspielregulierung vom Kopf auf die Füße, das heißt den Spielerschutz in den Mittelpunkt stellt." Insgesamt verkörpert das YellowPaper eine neue Qualität der Information über die Glücksspielbranche. Robert Hess, Geschäftsführer der Spielstätten der Schmidt-Gruppe, betont: "Erstmals wird ein umfassendes Bild über große Teile der Glücksspielwirtschaft vermittelt und interessierten Entscheidern und Multiplikatoren aus allen gesellschaftlichen Bereichen ein umfassendes Arbeitsmaterial an die Hand gegeben. Das eröffnet auch den Diskussionen über die Glücksspielregulierung neue Möglichkeiten."

Neuorientierung auf Verbraucherschutz

Das Neue und Besondere der Beschäftigung mit dem Thema im YellowPaper ist die Fokussierung auf den Verbraucherschutz als Ausgangspunkt und Ziel der Glücksspielregulierung. Einen solchen verdeutlichen einige Autoren dadurch, dass konsequente Glücksspielregulierung die Kanalisierung der Spielnachfrage in seriöse, überschaubare und attraktive Angebote befördern wird. "Ziel", sagt Reeckmann als Vertreter der Spielbanken, "ist die Schaffung von Rahmenbedingungen, unter denen der beinahe ungehemmten Ausbreitung illegaler Glücksspielangebote endlich erfolgreich der Kampf angesagt werden kann. Das ist sowohl im Interesse der Verbraucher wie auch des Fiskus. Insoweit ist das YellowPaper auch ein Angebot an die politischen Entscheider, die bestehenden Regulierungsdefizite zu analysieren und den Verbraucherschutz als Dreh- und Angelpunkt für die Weiterentwicklung der Glücksspielregulierung zu etablieren."

Themenvielfalt

Das Themenspektrum der 17 Beiträge des YellowPapers "Glücksspiel und Verbraucherschutz" reicht von der Beschreibung der aktuellen Situation der Glücksspielbranche in Deutschland über die Auseinandersetzung mit den bisherigen Regulierungsversuchen bis zu ausführlichen Begründungen, dass Glücksspiel und Spielerschutz nur dann eine gemeinsame Zukunft haben, wenn es gelingt, die politischen Entscheider in Deutschland und Europa von der unabdingbaren Einheit von Glücksspiel und Verbraucherschutz zu überzeugen. Von dieser Einsicht und der entsprechenden regulatorischen Neuorientierung – das wird in der Broschüre an mehreren Stellen offenkundig – hängt die Zukunft der legalen Bereiche einer ganzen Branche ab.
Die Autoren zeichnen sich durch langjährige Erfahrung in der Glücksspielbranche und ein tiefes Verständnis der Komplexität und Vielschichtigkeit der Thematik aus. Eine Vielzahl von ihnen gehört zu den Meinungsführern der Debatte um die Glücksspielregulierung in Deutschland, wodurch das vorliegende YellowPaper als Standardwerk für Glücksspiel in Deutschland gelten kann.

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Das YellowPaper "Glücksspiel und Verbraucherschutz" ist als PDF verfügbar und kann über diesen Link heruntergeladen werden (7 MB): YellowPaper "Glücksspiel und Verbraucherschutz"

Es fehlt ein Regulierungskonzept


Gastbeitrag von Martin Reeckmann in: Euractiv YellowPaper "Glücksspiel und Verbraucherschutz", Februar 2015, S. 27

Beim Blick auf die Glücksspielregulierung in Europa und in Deutschland fällt auf: national und regional sind verschiedene Modelle zur Glücksspielregulierung in Kraft gesetzt worden. Auf dem Papier in Kraft gesetzt, aber faktisch kaum durchgesetzt. Ein besonders frappierendes Beispiel für das Versagen von Glücksspielregulierung bietet seit einigen Jahren der größte EU-Mitgliedstaat Deutschland. Deutschland hat in acht Jahren drei (!) Staatsverträge produziert, von denen die ersten beiden der höchstrichterlichen Prüfung nicht standgehalten haben.

Aktuell deutet einiges darauf hin, dass sich die deutschen Bundesländer auch mit dem jüngsten Glücksspielstaatsvertrag übernommen haben. Das zeigt zum Beispiel ein Blick auf die drei Bereiche, für die zentrale Zuständigkeiten geschaffen worden sind, nämlich die Vergabe von Sportwettenkonzessionen, die Errichtung einer zentralen Sperrdatei und das Unterbrechen der Zahlungswege bei nicht erlaubten Glücksspielen im Internet. Alle drei Aufgabenfelder sind entweder aus dem Zeitplan gelaufen oder haben noch keine belastbaren Ergebnisse vorzuweisen. Auch das Verbot von Casinospielen im Internet hat mit der Realität nichts zu tun. Angesichts des Ausmaßes und des mehrjährigen Wachstums des Schwarzmarkts für Glücksspiele muss von einem strukturellen Vollzugsdefizit des Glücksspielrechts in Deutschland gesprochen werden. Ursache dafür sind Fehlentscheidungen bei der Normierung des Glücksspielrechts und bei der Organisation und Durchführung des Verwaltungsvollzugs. Insgesamt steht die Legitimation der bestehenden Normierung des Glücksspiels ernsthaft in Frage.

In Deutschland soll eine Vielzahl zersplitterter Behörden mit unzureichender Personal- und Sachausstattung eine kaum überschaubare und in ständiger Veränderung begriffene Palette von Glücksspielangeboten beaufsichtigen oder unterbinden. Die Aufsicht gelingt nur noch bei den standortgebundenen Glücksspielangeboten wie den Spielbanken mit ihrer traditionell höchsten Aufsichtsdichte. Auf die wenigen Spielbanken haben die Aufsichtsbehörden jederzeit Zugriff. Bei anderen Marktbereichen geschieht wenig, weniger, am wenigsten – bis hin zur faktischen Duldung des Rechtsbruchs wie etwa bei den grenzüberschreitenden Onlineglücksspielen, die in Deutschland weitgehend verboten sind.

Was nützt ein Verbot, dass nur auf dem Papier steht? Es nutzt den Anbietern unerlaubter Glücksspiele, die mit leichter Hand und geringem Aufwand schnell zu Geld kommen. Den Verbrauchern, deren Informations- oder Schutzbedarf im Fokus stehen müsste und die stattdessen förmlich im Stich gelassen werden, nutzt es gar nicht. Dem Fiskus bekanntlich auch nicht.
Ein weiteres Beispiel für die Fehlregulierung in Deutschland ist das Schutzinstrument der Spielersperre. Die 16 deutschen Bundesländer haben insgesamt sechs verschiedene Sperrsysteme beschlossen, davon fünf für den Marktbereich der Spielhallen. Die bundesweite Spielersperre wirkt auf die schutzsuchenden Spieler als lebenslanges Verbot der Teilnahme an Glücksspielen, abgestufte individuelle Vereinbarungen über den Umfang der Spielteilnahme sind kaum möglich. Umgekehrt wollen manche Spieler sich für alle Glücksspiele sperren lassen; hier fehlt es aber an einem übergreifenden Sperrsystem, das alle Glücksspiele umfasst und auch über Deutschland hinaus wirkt. Sichtbar wird hier vor allem das Fehlen eines Verbraucherschutzkonzepts.

Wenn Gesetzgebung und Praxis so weit auseinanderklaffen wie derzeit in Deutschland und anderen Teilen Europas, müssen wir uns wieder über den Sinn von Glücksspielregulierung verständigen. Ziel der gesellschaftspolitischen Verständigung muss die Vereinbarung eines Regulierungskonzepts sein, aus dem der rechtliche Rahmen für Glücksspielangebote abgeleitet werden kann. Ein solches Konzept fehlt in Deutschland und in der EU. Das ist – neben dem schlecht organisierten Vollzug – die zweite Ursache des Problems.

Auf dem Weg zu der notwendigen (die Not wendenden) gesellschaftspolitischen Verständigung muss ideologischer Ballast über Bord geworfen werden.

  1. Es gibt keinen Grund, Glücksspiele, Glücksspielanbieter und nicht zuletzt die Spieler zu stigmatisieren. Glücksspiel ist in unseren Gesellschaften in Europa nicht unerwünscht, sondern realer und normaler Bestandteil des Lebens. Alleine in Deutschland besteht eine massenhafte Nachfrage der Verbraucher etwa bei den staatlichen Lotterien (903 Mio. Spielaufträge im Jahr 2013) und bei den Spielbanken (5,8 Mio. Besuche in 2013). Die knappe Hälfte der Bevölkerung nimmt mindestens einmal jährlich am Glücksspiel teil – ohne jemals auch nur in die Nähe problematischen oder pathologischen Spielverhaltens zu geraten.
  2. Glücksspiel macht nicht süchtig, genauso wenig wie jede andere Tätigkeit, die frei von toxischen Wirkungen ist. Aber Glücksspiel kann – wie Arbeit, Kaufen, Sport, Sex etc. – zur Sucht werden, wenn ein Glücksspielangebot von einer entsprechend disponierten Person zur Kompensation von krisenhaft erlebten Lebenslagen genutzt wird.
  3. Bei jedem Glücksspielanbieter muss Prävention Chefsache sein – und nicht in die PR- Abteilung abgeschoben werden. Spielerschutz und Jugendschutz sind conditio sine qua non.

Regulierung besteht nicht nur aus Paragraphen, sondern auch und vor allem aus der faktischen Umsetzung der vereinbarten Regeln.

Die Umsetzung obliegt den Glücksspielanbietern, die manipulationsfreie und nachfragegerechte Glücksspiele bereitstellen müssen, wirksam verzahnt mit Maßnahmen zur Prävention vor Glücksspielsucht. Universelle Prävention für die deutliche Mehrheit der unproblematischen (sozialen) Spieler, selektive Prävention für den kleinen Anteil problematischer Spieler und indizierte Prävention für die wenigen pathologischen Spieler, deren Sucht allerdings erhebliche Folgen haben kann. Daraus ergeben sich wachsende Anforderungen an die Glücksspielanbieter, die ihrer Verantwortung nicht ohne eine planbare Umsatzbasis gerecht werden können.

Die Umsetzung obliegt aber auch den Behörden, die die zugelassenen Glücksspielanbieter beaufsichtigen und ihnen den Rücken von illegalen Wettbewerbern freihalten müssen. Ein von Kooperation statt Misstrauen geprägtes Verhältnis zwischen Glücksspielanbietern und Aufsicht entlastet letztere, während unerlaubten Glücksspielen mit unmissverständlicher staatlicher Repression begegnet werden muss.

In etwa zehn Jahren werden die Digital Natives in Europa den Ton angeben, und dann wird sich der Fokus der Regulierung vom standortgebundenen Glücksspiel zum Glücksspiel im Internet verlagern. Dafür werden sich Deutschland und die EU rüsten müssen, wenn die nationalen und EU-Organe nicht weiterhin Zaungast sein und die Verbraucher im Stich lassen wollen, wie das derzeit etwa bei den im Internet-Glücksspiel dominierenden Sportwetten und Casinospielen der Fall ist.

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Zur vollständigen Ausgabe des YellowPaper "Glückspiel und Verbraucherschutz"